von Gotthold Ephraim Lessing

Das Heidelberger Taeter-Theater eröffnete am Samstag, den 17. Oktober 2015 seine 29. Spielzeit mit der Premiere von Gotthold Ephraim Lessings dramatischem Gedicht „Nathan der Weise“. Wolfgang Graczol, künstlerischer Leiter des Taeter-Theaters mit ein paar Gedanken zu Stück und Inszenierung:

Nathan der Weise - Taeter-Theater - Foto: M. LiedtkeLessings „Nathan der Weise“ ist ein so vielschichtiges Stück, daß sich Rezensenten quer durch die Zeiten nicht entscheiden konnten, ob es gelungen oder mißlungen, ob es eine Komödie oder eine Tragödie, ein Ideendrama der Aufklärung, eine Familiensaga, ein Märchen oder ein religionskritisches Volksstück sei.

Eine Aufführung zu Lessings Lebzeiten kam nicht zustande, und erst 1801, in der Bearbeitung Schillers, fand das Drama auf der Bühne gedämpften Beifall. Später wurde es vom liberalen Bildungsbürgertum, das Lessings kritische Intensionen zu verflachen liebte, zur obligaten Schullektüre erhoben und im Deutschunterricht in junge, unschuldige Seelen gequält, während deren Eltern, nach den Mühen des Wiederaufbaus, wir sind bereits in der Mitte des vorigen Jahrhunderts angelangt, sich abends aus dem Plüsch des Theatersessels in eine Sphäre reiner Menschlichkeit erhoben fühlten, was nach der Zeit des verlorenen Rassenwahns nützlich und gut war.

An der Schulpraxis hat sich bis heute kaum etwas geändert. An der Inszenierungspraxis schon. Heutzutage wird „Nathan“, wie viele Klassiker übrigens, auf unseren Bühnen gerne mit Accessoires der Gegenwart ausgestattet: mit Handys, Pistolen, Fielmann- Brillen, Aktenköfferchen, Fahrrädern und Mikrophonständern, die es ja zu der Zeit, in der das Stück spielt, noch gar nicht gab – da stellen wir uns mal ganz dumm. – Nun hat sich aber unsere Zeit mit ihren mörderischen, zerstörerischen, zum Teil religiös motivierten Untaten so sehr dem Mittelalter der Kreuzzüge angenähert, daß es dieser Aktualisierung gar nicht bedarf. Im Gegenteil: der Erkenntnisschreck wird meiner Ansicht nach noch größer, wenn wir im Damals das Heute wiedererkennen.

Nathan der Weise - Taeter-Theater - Foto: M. LiedtkeDie traurige Aktualität dieses Stückes ist aber nur ein Aspekt meines Inszenierungsansatzes. In der Hauptsache ging es mir darum, ein Stück voll Tragik, Witz und Humor so lebendig wie möglich auf die Bühne zu bringen. Es gibt nicht eine Figur, die Lessing nicht liebevoll mit einem eigenen, markanten Charakter gezeichnet hätte, und die Situationen, in die er sie im Spiel der raffiniert verknüpften Handlungsstränge bringt, bieten den Darstellern jede Menge Spielfutter. Bei unserer Aufführung wird sich der Bildungsbürger also nicht erst kurz vor der Ringparabel durch einen sanften Rippenstoß seiner Gattin wecken lassen müssen. Die wunderbaren, lebensnahen und doch oft rätselhaften Figuren Lessings beantworten nämlich nicht nur den Inhalt von Goethes Gretchenfrage: „Wie hast Du’s mit der Religion?“, sie bestätigen auch zum Teil Ödön von Horváths Motto zu seinem Stück „Geschichten aus dem Wiener Wald“: „Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.“


Der Zuschauer erfährt, daß Nathan einer von den seltenen Menschen ist, die besser sind, als sie scheinen. Denn der Schein, dem dieser Jude unterliegt, basiert auf Urteilen, die sich als Vorurteile erweisen. Seine Weisheit, die sich nicht nur im Formulieren kluger Sätze erschöpft, sondern ihn durch Rat und Tat ins Geschehen eingreifen läßt, speist sich aus Lebenserfahrung. Denn auch er war an einem Wendepunkt seines Lebens ein Verwirrter, der sich aus den Niederungen des Hasses wieder erheben konnte. Bei den anderen Figuren des Stückes ist aber das Ungeklärte ihrer Existenz nicht minder spannend angelegt.

Freuen Sie sich also auf ein theatralisches Fest der Aufklärung, bei dem es nicht um die Pille gegen Storchbefall, sondern um die Erlösung des Menschen vom Menschenbefall geht.

Fotos: M. Liedtke

Pressestimmen

„…Dieser „Nathan“ ist aller Ehren wert, Zeugnis einer Regie- und Schauspielleistung, die dem Zuschauer vollsten Respekt und Anerkennung abringt.“ (mav, Mannheimer Morgen/morgenweb, 20.10.2015)

„In eindringlichen Szenen gelingt es dem Ensemble vortrefflich, die Kernbotschaften des Stücks plausibel zu machen: die Liebe zwischen den Menschen, eine tiefe Humanität und – in Form der Ringparabel – eine religiöse Toleranz.“ (A. Krödel, RNZ, 22.10.2015)

Es spielen

Sultan SALADINDieter Aschoff
SITTAH, dessen SchwesterAnne Steiner-Graczol
NATHAN, ein reicher Jude in JerusalemWolfgang Graczol
RECHA, dessen angenommene TochterDania Graf
DAJA, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als Gesellschafterin der RechaHildegard Neidlinger
Ein junger TEMPELHERRStefan Bartels
Ein DERWISCHStefan Strasser
Der PATRIARCH von JerusalemPeter Schumann
Ein KLOSTERBRUDERPavel Bobrov
Vier weitere KLOSTERBRÜDERMarcel Bauer, Miguel A. Hicks, Stefan Strasser, Erich Ueltzhöffer
DIENER als Juden, Moslems und ChristenMarcel Bauer, Miguel A. Hicks, Erich Ueltzhöffer

Inszenierung: Wolfgang Graczol