Wien, 1914. Gerade wurde der Krieg erklärt. Die Massen jubeln, die Soldaten ziehen durch die Stadt, Wortfetzen sind aufzuschnappen. „Schauens auf unsere Braven, die was den Feind jetzt ihre Stirn bieten dun!“ Zeitungsausrufer preisen die neuesten Nachrichten an, ein Journalist meint zum Anderen: „Schau dir bitte das Volk an, wie es gärt!“

In der Lesung von Karl Kraus‘ „Die letzten Tage der Menschheit“ im Heidelberger Taeter-Theater werden Szenen wie diese dank Wolfgang Graczol vor dem geistigen Auge lebendig. Der Schauspieler las eine kluge Auswahl der über kleinen 200 Szenen, aus denen Karl Kraus sein Monsterdrama zusammensetzte. Hauptsächlich fern von der Front schildern sie Geschehnisse während des Ersten Weltkriegs. Hierzu verwendete Kraus Zitate, die er teils genauso gehört, teils dem Sinn nach wiedergegeben hat.

Mit Hilfe weniger Sätze wird die Situation des Krieges immer klarer und grausamer, die Absurdität tritt immer mehr hervor. Graczol versteht sich darauf, die Situationen, den Dialekt und die Mentalität der Wiener stimmlich so einzufangen, dass das Geschehen im Geiste lebendig wird.

Anfangs wirken die ausgelassenen Wiener, die den Krieg bejubeln, aus heutiger Sicht zwar ein wenig befremdlich. Doch komische Elemente, wie ein enthusiastischer Kriegsbefürworter, der sich vor lauter Begeisterung in seinen Rufen verhaspelt und plötzlich Serbien hoch leben lässt und Habsburg niederschreit, bringen einen zum Schmunzeln.

Rapide werden die Situationen jedoch ernster. Der Krieg zieht in die Wiener Vorstadt ein – in der Form, dass zwei Männer alle ausländischen Bezeichnungen auf den Läden (etwa den Namen „Café Westminster“) überkleben. Graczol wechselt in der Unterhaltung zwischen Cafébesitzer und den Überklebern die Rollen blitzschnell, so dass es wirkt, als sprächen drei Personen.

Den Oberleutnant, der empfiehlt: „Wenn’s nicht sein muss, sparen mit dem Menschenmaterial!“ lässt Graczol so erscheinen, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt.

Ein mit seinen grotesken Szenen anfangs erheiterndes, später immer mehr bedrückendes Stück, das den Irrsinn eines Krieges trotz oder gerade dank der Schilderung fern der Front vor Augen treten lässt. Wolfgang Graczol gelingt es den Szenen Leben einzuhauchen. Wie der Wiener sagen würde: „Bravo, so is!“

Kritik von: Agnes Hellmuth