35 Jahre Taeter-Theater in Heidelberg
Für eingefleischte Liebhaber
Wofgang Graczol trinkt seinen Kaffee mit einem Cognac. Hinter ihm stehen auf einem Klavier ein ausgestopfter Fasan, ein ebensolcher Erpel und eine braune, gläserne Apothekerflasche. Die tief liegenden Augen des Endsiebzigers suchen den Blickkontakt nur selten und strahlen eine leise Schüchternheit aus, von der auf der Bühne nichts zu spüren ist.
Der Mann mit dem österreichischen Akzent steht in Heidelberg seit 43 Jahren auf der Bühne.
Zehn Jahre, von 1973 bis 83 war er an den städtischen Bühnen engagiert und hat dort zwei Intendanten kommen und gehen sehen.
Dann gründete er mit seiner Frau, der Bühnenbildnerin Anne Steiner-Graczol, eine erste freie Theatergruppe. Mit „König Ubu“, einem Stück mit 37 Toten und 22 Umbauten, begann der am Max-Reinhardt-Seminar ausgebildete Schauspieler 1984 seine Do-it-yourself-Ausbildung zum Regisseur.
Zwei Jahre dauerte diese Phase, die Graczol selbst als Lehrjahre bezeichnet. Geprobt wird in der alten Schokoladenfabrik Haas in Ziegelhausen und gespielt wird in der Gartenhalle des Kunstvereins Heidelberg, die beide heute abgerissen sind. Dann schließlich findet Graczol die Räumlichkeiten in der alten Landfried-Zigarrenfabrik an der Bergheimer Straße und gründet dort 1987 das Taeter-Theater. Nach 14 Monaten Spielzeit folgt 1989 die Zwangsschließung wegen baulicher Mängel. Notbeleuchtung und Ausgänge nebst anderen Kleinigkeiten müssen her. Nach acht Monaten eröffnet das Taeter-Theater erneut und probt und spielt seither unermüdlich.
Graczol ist dabei Theaterleiter, Schauspieler, Regisseur, Dramaturg, Inspizient, Techniker, Bühnenarbeiter, Kartenabreißer und Barmann in Personalunion, und seine Frau hat nicht weniger Fähigkeiten. Ihre Mitarbeiter sind Amateure, die auf und hinter der Bühne ihren Mann oder ihre Frau stehen. Mit der Inszenierung von Faust, erster Teil, erspielte sich das Theater 1994 beim Theaterfestival in Stuttgarts Theaterhaus den Publikumspreis. Und drei Jahre lang sind die 99 Sitzplätze in über 100 Vorstellungen kontinuierlich ausverkauft.
Graczol hält nichts von den „mundgerechten Klassikerinszenierungen, die den Text auf zwei Stunden und eine Pause zusammenschrumpfen“. Er fordert Sitzfleisch von seinem Publikum. Dafür können sich die Besucher des Taeter-Theaters dann auch auf präzise Arbeit und genaue Umsetzung in Gracols Inszenierungen freuen. Denn der Mann versteht es, seine Darsteller liebevoll und ihrem Können entsprechend einzusetzen und lebendige Theaterabende entstehen zu lassen.
Text: STEFANIE SCHNITZLER